Katja Brunner

Geister sind auch nur Menschen

„Womögliche Zielsetzung den aggregatzustand der eigenen trauer zu ändern“

Katja Brunner liebt eine direkte, ungeschminkte Sprache, die sie mal in schnellen Gesten mit lauten Majuskeln, mal stockend, stotternd mit Satzstummeln und Dialogfetzen vorantreibt. Ihr Text sei „wie das Drehen eines knarzenden Karussells“, schreibt sie. Mit schneidendem Blick auf die menschlichen Dinge entwirft sie kleine Dramen ohne eigentliche Handlung. Unter der fordernden Überschrift „Ändere den Aggregatzustand deiner Trauer“ spannt die Autorin im ersten der beiden Sprechtexte einen Raum zwischen Geburt und Tod eines Kindwesens auf. Der Blick auf seine Zeugung ist von knisternder Kälte und lässt die finale Autoaggression schon erahnen. Das Kindwesen wird in die Welt, dann in die Ecke gestellt, der erwachsenen Sorge entledigt.
Der Hauptakzent im zweiten Text „Geister sind auch nur Menschen“ liegt auf dem Ende, dem Tod, oder genauer: dem Hinwelken, Dahinsiechen, Ableben. Eine der Protagonistinnen wollte doch nur heim, und nicht ins Heim*, wo sie sich auf einmal wiederfindet. Diese kleine Verschiebung beinhaltet das tragische Schicksal, das Brunner in ihrem furiosen Text einfängt. In ihm wird eine Zwiespältigkeit spürbar, die Wut mit Ohnmacht paart. Der entwürdigende Alltag im Altersheim kann nicht gelindert werden, sei es wegen der eingespielten Pflegeroutinen, sei es wegen des Starrsinns der Alten, die für echte Zuwendung unempfänglich geworden sind. Es wird beidseits gezetert und gehadert, so dass Dankbarkeit und Zufriedenheit verloren gehen.
Mit ihrer permanent ausfransenden, um Worte ringenden Sprache beschreibt Katja Brunner beschämende Situationen und reisst immer wieder neu die existentiellen Risse und Wunden auf. Impulsiv und drängend macht sie auf die empörenden Zustände aufmerksam, sie spricht aus, was stumm hingenommen oder nur beiläufig vernehmbar wird. Dabei übertreibt sie mit einer Leidenschaft, in der immer auch ein gehöriges Quantum Humor mitschwingt,wobei die Doppelbödigkeit und Intensität ihrer Texte am besten in der lauten Intonation zum Tragen kommt.
(Beat Mazenauer)
    
Von der Pro Helvetia empfohlen

Der gesunde Menschenversand, Luzern 2021

ISBN: 978-3-03853-119-7