Christian Haller

Die verborgenen Ufer

«… ich konnte mir nicht länger verheimlichen, dass dieses Abseits-Stehen, das ich mit literarischen Vorbildern ausschmückte, nicht so sehr eine Entscheidung als eine Unfähigkeit war, mich Menschen und ihrer Umgebung zu öffnen. Bei jeder Begegnung verspürte ich ein Fremdsein, eine Distanz, und sobald sich mir jemand näherte, glaubte ich mich abgelehnt: Ich fühlte mich wie in einem gläsernen Zylinder eingeschlossen, durch sein Glas sah und beobachtete ich meine Umgebung, doch ich konnte weder berühren noch berührt werden, und dieses Gefühl erfüllte mich mit schwermütiger Sehnsucht nach Nähe.»

Mitten in der Nacht erwacht der Autor Christian Haller, geweckt durch ein dunkles Grollen. Das Fundament seines Hauses, das über den Ufern des Rheins steht, ist weggebrochen. Der Vorfall wird zum Sinnbild für die Lebenskrise des Schriftstellers, in die er unvermutet und vorerst unbewusst hineingeschlittert ist, und zum Anlass, dem eigenen Herkommen nachzuspüren und die Fundamente seiner Persönlichkeit zu hinterfragen und zu überprüfen. Haller zeichnet in seiner auf drei Bände angelegten Autobiographie die Geschichte seiner Kindheit im Aargau, die Leiden seiner Adoleszenz bis zum Schulabschluss als Lehrer und darüber hinaus seine ersten Erfahrungen in der Welt der Erwachsenen und der Erwerbsarbeit nach. Der arbeitslose Lehrer, dem sein Beruf bereits fragwürdig geworden ist und der eigentlich lieber Schriftsteller werden möchte, findet in Zürich eine erste Stelle als „Hausbursche“, wie ihm vom Einwohnermeldeamt bescheinigt wird.
Christian Haller ist ein wortgewandter Beobachter und ein präziser Chronist seiner selbst, «Die verborgenen Ufer», im Untertitel wohl von Verlag als «Roman» bezeichnet, eine Autobiographie im besten Sinn. Man kann gespannt sein auf die Fortsetzung…

(Rudolf Probst)

Luchterhand Literaturverlag, München 2015

ISBN: 978-3-85869-442-3