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Nach dem Bericht über ICON-Poets im Progr und über die Schweizermeisterschaft des Poetry Slam hier zwei weitere Beispiele aus den literarischen Frühjahr 2018 – und eine ganz spezifische Frage an den Poetry Slam und sein 20-jähriges Jubiläum.
27.3. – Dampfzentrale Bern: Finale und Preisverleihung des „Bund"- Essaywettbewerbes des Medienhauses Tamedia
Der „Bund" schreibt jährlich, nun bereits zum 12. Mal, einen Essaywettbewerb aus und macht die Finalrunde öffentlich. Heuer lautete das Thema: „Wir sind ein Einwanderungsland – schmeckt Ihnen das?". Eine Jury, bestehend aus den SchriftstellerInnen Irena Brežná und Francesco Micieli sowie «Bund»-Chefredaktor Patrick Feuz, hatte vorab drei Texte aus den Bewerbungen zum Finale erkoren. Diese drei Texte wurden in der Dampfzentrale von ihren Autoren vorgelesen. Dass es sich um drei Männer handelt, wurde besonders erwähnt. Das sehr zahlreich erschienene Publikum, durch lange Begrüssungen, durch die gehörten Texte, durch eine viel zu breit angelegte Moderation, durch mehrere musikalische Interventionen allerdings bereits strapaziert, wurde in der Pause endlich zur Urne gebeten. Sieger wurde knapp der Deutschlehrer Lorenz Belser mit seinem Text „Beata bricht auf". Er setzte sich durch gegen den Schriftsteller Peter Fahr und den Historiker Daniel Schläppi.
Solche Ausschreibungen mobilisieren immer viele Schreibende, besonders auch Laien. Ein derartiger Wettbewerb ist für manche eine Möglichkeit, sich und ihr Schreiben zu zeigen, ihrem Schreiben Öffentlichkeit zu verschaffen. Der Anlass ist denn auch populär und im Publikum sitzen mit Sicherheit auch einige der Nichterkorenen.
Es sitzen da aber auch manche, die sich wundern über eine profunde Unsorgfalt im Konzept des Ganzen: Das waren nämlich keine Essays, die den Weg auf die Zielgerade schafften und vorgelesen wurden. Und der an der Bar gehörte Satz: Gratuliere zu deinem Essay, war schmerzhaft unfachlich. Denn die drei Texte im Finale waren Erzählungen, keine Essays. Es sind von Figuren bewohnte, an Figuren interessierte Narrationen, die sich lose an dem vorgegebenen Thema orientieren.
Essays verfolgen eine bestimmte Frage, ein zur Diskussion gestelltes Phänomen. Essay ist Analyse und Abhandlung, nicht Erzählung. Essay ist in seiner Eigenart, noch während des Schreibens suchen zu dürfen, das literarische Gegenstück zum wissenschaftlichen Text und zur Erzählung. Wer einen Essay schreibt, der tastet noch. Es ist ein kontrolliertes Tasten, ein Tasten hin zu Möglichkeiten einer Antwort auf die vorgegebene Frage.
Und wer einen Essaywettbewerb ausschreibt, sollte tatsächlich nur Essays akzeptieren. Die Anzahl der Texte im Wettbewerb und die Anzahl der ZuhörerInnen in der Dampfzentrale würde sich zwar halbieren. Dafür käme es nicht zur Verschaukelung all jener, die tatsächlich einen Essays eingereicht haben.
29.3. – Schauspielhaus Zürich, Pfauen: der Zwingli-Slam
Seit etwa 20 Jahren gibt es in der Schweiz den Slam und seine DichterInnen- und VeranstalterInnenszene. Ein Anlass doch, nach ihrem Befinden zu fragen. Slam, wie wir ihn kennen, ist seit Anbeginn Wettbewerb. Die Texte waren als schlagende, für den Moment produzierte Episodenereignisse gedacht, vorgelesen oder frei gesprochen, grundsätzlich einmalig und zum Wettbewerb bestimmt. Die Auffassungen der Szene gehen zwar auseinander, einige Exponenten haben das Publikum mehrmals mit den gleichen Texten konfrontiert; andere waren produktiver.
Der Zwingli-Slam auf der Pfauenbühne des Zürcher Schauspielhauses kam zustande nach dem Konzept von Martin Otzenberger. An fünf Poeten und eine Poetin ging der Auftrag für einen Text in Zusammenhang mit dem Jubiläum des Wirkens des Reformators Huldrych Zwingli. Etappen und Episoden seines Lebens wurden den DichterInnen zugeteilt. So entstanden relativ neue bis ganz neue Texte. Und so kam es zu einem Slam ohne Wettbewerb. Erfreulich dabei: Das literarische Niveau und das Niveau des Vortrags sind hoch. Patti Basler und Simon Chen, Micha Ebeling und Jens Nielsen, Phibi Reichling und Jürg Halter erfüllen den Auftrag in vergleichbar intensiver Weise. Die beiden Moderatoren (Valerio Moser und Manuel Diener) agieren freier ohne das Korsett des Wettbewerbs.
Kein Wettbewerb – und das gibt auch Zeit zur Frage, weshalb das denn überhaupt sein muss mit dem Wettbewerb und dem, was er mit sich bringt. Sicher ist es anregend, sich in einem Wettbewerb zu messen oder einem Wettbewerb zuzuschauen, das mögen viele Menschen. Der ganze Sport funktioniert so. Der Grund aber, Slams heute zu meiden, sind die Begleiterscheinungen, die Organisation des Wettbewerbs, die nervtötenden immer gleichen Prozeduren. Es handelt sich um Abläufe, deren Notwendigkeit wir zwar einsehen, die wir aber nicht mehr geniessen. Noch immer wird das Publikum gefragt, ob jemand noch nie an einem Slam gewesen sei. Und immer ist da jemand ... Worauf die Mehrzahl der Anwesenden sich zum unnötig x-ten Mal die Regeln des Spiels anhören muss in den immer gleichen Formulierungen, die einst lustig waren, heute aber mühsam sind.
Der Zwingli-Abend war nicht nur wegen des Konzeptes und der Besetzung reifer, er war es auch dank des fehlenden Wettbewerbs und der fehlenden Prozeduren. Der Abend hat in jeder Hinsicht bestens funktioniert. Zweimal hat man sich etwas gar stark von Zwingli (in Richtung Roger Federer) entfernt, das ist aufs Ganze aber unerheblich. Gesiegt hat die Intensität, die Lust am situativen Schreiben. Das Gelingen der Performance. Das Urteil konnte sich auf allerlei richten, es durfte mäandern und unbestimmt bleiben. Slam ohne Wettbewerb tut gut. Befreit von Prozedere, Geometrie, Jury, Ziffern und Zahlen.
Ein Blog-Beitrag von «Bern ist überall» im Journal B.
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