Verena Stössingers feinnerviges Erinnerungsbuch versteht es, die Suche nach der Kindheit beispielhaft in Sprache zu übersetzen. Das Tastende erhält darin auch stilistisch eine adäquate Form. Aus dem Dunkel des Vergessens und Verdrängens dämmern lückenhaft Bilder herauf und verdichten sich zu Ahnungen und Gefühlen. Die Sprache selbst wird zur stimmigen Zeugin des Erinnerns, in dem die Grenze zwischen Vergessen hier und Verdrängen da sachte verfliessen. Je mehr Konturen sich erahnen lassen, umso länger werden die Schatten. Mit grosser Behutsamkeit steuert der Roman auf jenen Kardinalzweifel hin, der sich immer dringlicher herausschält: Wo war eigentlich der Vater? Und weshalb durfte die Familie nach seinem frühen Tod in einer Villenkolonie wohnen bleiben, die NSdAP-Mitgliedern und Offizieren vorbehalten war? «Wer nicht weiss, muss erfinden», schreibt die Erzählerin. Ihr Roman findet hierfür keine Lösung, doch die Fragen sind unangenehm genug.
(Beat Mazenauer)
Verlag Martin Wallimann, Alpnach 2012
ISBN: 978-3-905969-14-6